Emeriti
Norbert Lohfink SJ †

Nachruf
Am 23. September 2024 ist P. Norbert Lohfink SJ in der Helios Klinik Altperlach in München gestorben.
Norbert Lohfink war ein Frankfurter. Hier wurde er am 28. Juli 1928 als ältestes von vier Kindern geboren. Die beiden Schwestern Marianne und Margret kamen schon in jungen Jahren im Krieg bzw. durch einen Unfall ums Leben, sein Bruder Gerhard, der ein bedeutender Neutestamentler wurde, starb wenige Wochen vor Norbert im Alter von 89 Jahren. Im Frankfurter Gallusviertel wuchs er auf und wurde in der dortigen Pfarrei vom Kaplan in geheimen Jugendtreffen gegen die götzendienerische Ideologie des Dritten Reiches geimpft.
1947 in den Jesuitenorden eingetreten studierte Lohfink Philosophie in Pullach, Theologie in Frankfurt und wurde hier 1956 auch zum Priester geweiht. Das Studium der Bibelwissenschaften, Lizentiat und Doktorat, absolvierte er am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom. Die Verteidigung der unter Anleitung von Bill Moran SJ angefertigten Doktorarbeit „Das Hauptgebot. Eine Untersuchung literarischer Einleitungsfragen zu Dtn 5-11“ war spektakulär. Kurz vor Konzilsbeginn hatten römische Kreise eine Attacke gegen das Päpstliche Bibelinstitut und die dort nun auch betriebene historisch-kritische Methode geritten. Eine ganze Reihe von Konzilsvätern wollte dem Institut beispringen und beschloss, bei der nächstbesten Thesenverteidigung Präsenz zu zeigen. So verteidigte Lohfink seine Arbeit 1962 vor 400 Bischöfen und Kardinälen im Atrium der Gregoriana.
Seine Lehrtätigkeit nahm er 1963 zunächst in Frankfurt auf und setzte sie 1966 in Rom fort, kehrte 1970 aber aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland zurück und blieb nun an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Frankfurt – mit regelmäßigen Gastsemestern in Rom. Er war ein begnadeter Lehrer, der seine Zuhörerschaft von der Bibel zu begeistern wusste. Noch den langweiligsten Stoff verstand er, spannend, ja dramatisch darzubieten. Lohfinks Abschiedsvorlesung im Sommer 1996 trug den Titel „Der Tod am Grenzfluss“ – schon das klang wie ein Krimi. Es ging um den Tod des Mose am Jordanufer, das Gelobte Land vor Augen. Nach dem Deuteronomium geht die Erzählung der Bibel zwar mit Josua weiter, aber der Bibelkanon macht nach Dtn 34 einen Schnitt zwischen der Tora und den restlichen Büchern des AT, die damit eine Art kommentierende Funktion (Haftara) zum Basistext „Tora“ erhalten, wie denn auch das NT nach dem Basistext des Vierevangeliums den Apostelteil auf einen zweiten Rang verweist. Bibelhermeneutik und Fragen kanonischer Bibelauslegung haben Lohfink immer interessiert und zeitlebens beschäftigt.
Norbert Lohfink ist ein weltweit anerkannter Exeget geworden. Seine Publikationsliste weist fast 900 Titel auf, Bücher und Artikel, vor allem zum Deuteronomium, zu Kohelet, den Psalmen und biblischer Theologie. Zuletzt veröffentlichte er noch kurz vor seinem Tod zusammen mit Georg Braulik „Kommentar zu Dtn 1“ (ÖBS 60, 2024). Dass die beiden bei Lohfinks akribischer Arbeitsweise den geplanten Kommentar zum Deuteronomium nicht mehr vollenden würden, war ihm schon länger klar: „Selbst wenn ich wie Mose 120 Jahre alt würde“ sagte er bisweilen. So blickte er am Ende wie Mose am Grenzfluss hinüber auf das unvollendete Werk, zu dem er unendlich viele Vorarbeiten für künftige Generationen geleistet hat. Auf Kongressen wurde er schon mal als „Mister Deuteronomy“ bezeichnet. Er arbeitete philologisch, historisch, vor allem aber literaturwissenschaftlich und verstand sich dabei immer als Theologen, der dem Wort Gottes in der Kirche dienen will. Überkommene exegetische „Dogmen“ übernahm er nie unbesehen, sondern prüfte alles nach und warf manche alte Theorie über den Haufen. In den 60er Jahren, einer Zeit, da die protestantische Bibelwissenschaft noch ein Monopol auf wissenschaftliche Exegese beanspruchte („catholica non leguntur“), gelang Lohfink der Durchbruch in ihre Domäne, da Gerhard von Rad auf seine Veröffentlichungen aufmerksam wurde und merkte: Das muss man ernst nehmen. Die Kooperation katholischer und evangelischer Exegeten förderte Lohfink u.a. auch durch die Begründung des Rhein-Main-Exegese-Treffens mit Mainzer und Würzburger Kollegen, das seit über 50 Jahren bis heute dreimal jährlich stattfindet. Darüber hinaus begründete er mehrere exegetische Reihen (SBS, SBAB). Die Fachkollegen würdigten seine zum Teil bahnbrechenden Arbeiten 1993 mit einer Festschrift („Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel“) und mit einem Ehrendoktorat der Universität Wien im selben Jahr. Die Kirche dankte ihm für sein ministerium verbi (Formula Instituti des Jesuitenordens) mit dem päpstlichen Orden „Pro Ecclesia et Pontifice“ und der Georgsplakette des Bistums Limburg.
Im Sankt Georgener Professorenkollegium war Lohfink zusammen mit seinen Mitstreitern Jüngling und Engel ein unermüdlicher Kämpfer für die Stellung der Bibelwissenschaft in der Studienordnung, „gelegen oder ungelegen“ (2 Tim 4,2). Seinem Nachfolger machte er Platz und ließ ihm freie Hand, versagte ihm aber nie jede erbetene Unterstützung. So war er auch bei Kollegen und Kolleginnen in aller Welt bekannt: immer gesprächs- und hilfsbereit. Bei Norbert Lohfink konnte man unheimlich viel lernen – das wussten alle.
Die Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen wird P. Norbert Lohfink SJ stets ein ehrendes Andenken bewahren.
Für den Nachruf:
Prof. P. Dr. Dieter Böhler SJ
Für die Hochschule:
Prof. Dr. Thomas Meckel (Rektor der Hochschule)
Den Nachruf der Zentraleuropäischen Provinz der Jesuiten finden Sie unter https://www.jesuiten.org/news/p-norbert-lohfink-sj-in-muenchen-verstorben
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Lebenslauf
Persönliche Daten
- geboren 1928 in Frankfurt am Main
- Jesuit seit 1947, Priesterweihe 1956
- Studien in München, Frankfurt, Rom, Paris, Jerusalem
- Lic Phil (München 1953), Lic Theol (Frankfurt 1957), Dr in re biblica (Rom 1962), Dr hc (Wien 1993)
- Lehrte zeitweilig am Päpstlichen Bibelinstitut in Rom, sonst seit 1962 an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main. Dort emeritiert 1996.
- Hauptarbeitsgebiete: Deuteronomische Literatur, Kohelet, Psalmen.
- Daneben viel Arbeit für Bibelübersetzung: 2 Bücher in der Einheitsübersetzung, 10 Jahre Arbeit für das "Hebrew OT Text Project" der "United Bible Societies".
- enge Verbindung zur "Katholischen Integrierten Gemeinde"
- Gründer oder Mitbegründer der Reihen "Stuttgarter Bibelstudien" und "Stuttgarter Biblische Aufsatzbände", Mitherausgeber des "Jahrbuchs für Biblische Theologie" und der "Zeitschrift für altorientalische und biblische Rechtsgeschichte".
- Die wissenschaftlichen Aufsätze erscheinen zur Zeit in einer mehrbändigen Buchausgabe, von denen bisher sieben Bände vorliegen: Studien zum Pentateuch / Studien zum Deuteronomium und zur deuteronomistischen Literatur, I, II, III und IV / Studien zur biblischen Theologie / Studien zu Kohelet.
- Arbeitet zusammen mit Georg Braulik, Wien, an dem Deuteronomium-Kommentar für die Reihe "Hermeneia" (Fortress Press, Minneapolis, MN).
Im Juli 1993 ist zu seinem 65. Geburtstag eine Festschrift erschienen. Ihr Titel lautet: Biblische Theologie und gesellschaftlicher Wandel.
Im Volltext online zugängliche Artikel
- Der vereinzelte Mensch - heute und in Psalm 1
(Vortrag bei Gelegenheit eines 50-jährigen Gemeindejubiläums am 13. Oktober 2003 in Sulzbach; nicht gedruckt erschienen)
- Zur Eröffnung der Akademie für die Theologie des Volkes Gottes in der Villa Cavalletti bei Rom am 25. Oktober 2003
Grußwort, gedruckt erschienen im Tagesprogramm
- Gedanken zur Hundertjahrfeier einer Großstadtgemeinde
(Vortrag in Sankt Gallus, Frankfurt am Main, am 6. Oktober 2003; nicht gedruckt erschienen)
- Dtn 1,9-18: Gerichtsverfassung und Militär
(Vortrag bei einem Theologentreffen in Frankfurt a.M. am 21. Mai 2003; nicht gedruckt erschienen)
- Gewalt und Monotheismus. Beispiel Altes Testament
(Vortrag an der Katholischen Akademie in Bayern, München, 9. Mai 2003; nicht gedruckt erschienen)
- Mose wird zum Befreier - wie er sich dabei selbst verändert. Biblisches zur Spiritualität der Gerechtigkeit und der Befreiung
(Vortrag vor Jesuiten in Nürnberg am 12. September 2002; nicht gedruckt erschienen)
- Die kleingewordenen Konvente und das biblische Prinzip der kleinen Zahl
erschienen in: Die beiden Türme. Niederaltaicher Rundbrief 37 (2001) 66-81 (Vortrag auf dem 47. Generalkapitel der Bayerischen Benediktinerkongregation in Niederaltaich am 5. September 2001)
- Der Alte Bund im 4. Hochgebet
erschienen in: Bibel und Liturgie 73 (2000) 33-46
- Mord im Namen Gottes? - Zu den theologischen Hintergründen des 11. September
(Vortrag im Dom zu Mainz am 27. September 2001; nicht gedruckt erschienen)
- Zur Perikopenordnung für die Sonntage im Jahreskreis
erschienen in: Heiliger Dienst 55 (2001) 37-57
- Gewalt und Friede nach der Bibel
erschienen in: Steht nicht geschrieben?: Studien zur Bibel und ihrer Wirkungsgeschichte: Festschrift für Georg Schmuttermayr (Hg. v. J. Frühwald-König, F. R. Prostmeier, R. Zwick), Regensburg 2001, S. 75-87
- Der Zorn Gottes und das Exil - Beobachtungen am deuteronomistischen Geschichtswerk
erschienen in: Liebe und Gebot: Studien zum Deuteronomium. Festschrift zum 70. Geburtstag von Lothar Perlitt, hg. v. R. G. Kratz und H. Spieckermann (FRLANT 190), Göttingen 200., S. 137-155
- Liturgische Bibelverdunstung
erschienen in: StZ 218 (2000) 247-259
- Ein Bund oder zwei Bünde in der Heiligen Schrift
erschienen in: L'interpretazione della Bibbia nella chiesa: Atti del Simposio promosso dalla Congregazione per la Dottrina della Fede, Roma, settembre 1999 (Città del Vaticano: Libreria Editrice Vaticana, 2001) 272-297
- Alttestamentliche Theologie als Wissenschaft. 44 Thesen
erschienen in: Wieviel Systematik erlaubt die Schrift? Auf der Suche nach einer gesamtbiblischen Theologie (Hg. v. F.-L. Hossfeld; QD 185; Freiburg: Herder, 2001) 13-47
- Reissigers Oratorium "David" und der David der Bibel
erschienen in der Notenausgabe "David. Oratorium in zwei Teilen von Carl Gottlieb Reissiger, edition mf, Offenbach 1998/99"
- Kardinal Augustin Bea - Interview der Historischen Bibliothek Rastatt am 16. 8. 1997
erschienen in: Augustin Bea: 1881-1968: Über Leben, Person und Werk eines badischen Kardinals: Eine Ausstellung der Historischen Bibliothek der Stadt Rastatt vom 12. Dezember 1997 bis zum 28. Februar 1998: Begeleitbuch zur Ausstellung, hg. v. Hans Heid (Stadt Rastatt. Stadtgeschichtliche Reihe 7/1), Rastatt 2000, S. 501-528
- Die deutsche Übersetzung des Exsultet
erschienen in: Liturgisches Jahrbuch / Vierteljahreshefte für Fragen des Gottesdienstes, 49 (1999) Heft 1, S. 39-76; hier wiedergegeben nach der überarbeiteten Fassung in: Georg Braulik und Norbert Lohfink, Osternacht und Altes Testament. Studien und Vorschläge. Mit einer Exsultetvertonung von Erwin Bücken (Österreichische Biblische Studien 22; Frankfurt: Lang, 2003) 83-120 ("Das Exsultet deutsch. Kritische Analyse und Neuentwurf")