Ringvorlesung am 17.11.2022 - „Heilige Grenzen? Islamische Theologie und biblische Exegese im Gespräch“

Mit dem Thema „Heilige Grenzen? Islamische Theologie und biblische Exegese im Gespräch“ startete am Mittwoch, 17.11.2022, die Ringvorlesung „Lob der Grenze“ im Wintersemester 2022/23. Grenzen trennen nicht nur, sondern verbinden auch. Sie sind flexibel, werden ausgehandelt, sehen von einer Seite anders aus als von der anderen, kurz: Sie können auch dialogisch verstanden werden. Der erste Abend der Ringvorlesung war deshalb interreligiös besetzt und widmete sich der Frage, ob und wie Grenzen heilig sein können. 

Die Moderatoren des Abends, P. Tobias Specker SJ und Felix Lamberti begrüßten dazu Prof. Dr. Serdar Kurnaz und Prof. Dr. Christian Frevel als Gäste.

Die Veranstaltung begann mit zwei Impulsvorträgen der beiden Gäste, die unterschiedliche Perspektiven der „heiligen Grenzen“ aufzeigten. Prof. Dr. Christian Frevel, Professor für Altes Testament an der Ruhr-Universität Bochum und außerordentlicher Professor an der University Pretoria, näherte sich in seinem Vortrag diesem Thema in drei Schwerpunkten. Er begann seine Ausführungen am Beginn der Tora mit dem ersten Schöpfungsbericht (vgl. Gen 1-2,3). Schon mit der Erschaffung des Lichtes und der damit einhergehenden Abgrenzung zur Dunkelheit und dem Chaos sei eine Grenze von Gott gesetzt worden. Grenzen seien weiterhin notwendig, damit etwas sein könne, die Grenzenlosigkeit würde ins Unfassbare, ins Chaotische führen. Im zweiten Punkt setzte Frevel seine Überlegungen mit den Grenzziehungen Gottes fort, der den Menschen Grenzen in der Zeit gegen das Chaos und für eine Lebenswelt setze. Der dritte Schwerpunkt seines Vortrages war die Frage, ob Gott auch Gebiete begrenze. Der biblische Befund zeige diesbezüglich keine Eindeutigkeit der Grenzziehungen eines Heiligen Landes. Das verheißene Land offenbare sich dort, wo Gottes Anwesenheit und Wohnung (Zion) beantwortet werde von seinem gläubigen Volk (Tora-Observanz). Abschließend ließe sich demnach folgern, dass Grenzen einen ambivalenten Charakter aufweisen, im biblischen Kontext jedoch notwendig sind und bleiben.

Die semantische Vielfalt der Grenze eröffnete Prof. Dr. Serdar Kurnaz, Professor für Islamisches Recht in Geschichte und Gegenwart an der Humboldt Universität Berlin. Sein Beitrag enthielt eine ähnliche Grundaussage: Grenzen seien nie absolut, sondern immer ambivalent und kontextuell zu betrachten. In seinem Kurzvortrag legte er den Schwerpunkt nicht auf die systematisch-theologische, sondern auf die rechtliche Ebene im Islam. Im Islam stehen Grenzen häufig in Beziehung zu verbotenen Handlungen und haben einen an der Person und weniger am Territorium orientierten Charakter. Im weiteren Vortrag ging Kurnaz auf die Grenzen durch den Geltungsbereich des Rechts ein. Durch diese Grenzziehung, die allerdings nicht von Gott, sondern von den Menschen gegeben ist, werde kontrollierte Vielfalt sowohl religiös übergreifend als auch innerreligiös geschaffen. Der religiös übergreifende Charakter sei nur möglich, wenn die Reinheit, die im Vordergrund dieser Grenzen stehe, sich nicht auf kulturelle und spirituelle Reinheit beziehe (in heutiger Zeit), sondern auf die moralische bzw. soziale Reinheit. Die religiöse Legitimation dieser Grenzen habe wiederum zwei Funktionen, einerseits eine Ausschlussfunktion – wieder sowohl innerreligiös als auch religiös übergreifend. Andererseits auch eine inklusive Funktion – die Legitimation von Vielfalt, allerdings auch der Wunsch nach Einheit.

Im Anschluss zu den Impulsvorträgen wurden in der Podiumsdiskussion die Inhalte der Referate noch vertieft diskutiert.

Zum Abschluss der Veranstaltung bekamen die über 70 TeilnehmerInnen, sowohl vor Ort als auch online zugeschaltet, die Möglichkeit, Fragen zu stellen und so in einen Diskurs mit den Referenten zu treten.

Die zweite Ringvorlesung findet am Mittwoch, 14.12.2022, von 18:30 bis 20:00 Uhr statt. Thema des Abends ist „Al-Aqsa oder Tempelberg: Der ewige Kampf um Jerusalems heilige Stätten“. Zu Gast ist Dr. Joseph Croitoru, Historiker, Kunsthistoriker und Judaist. Er arbeitet als freier Journalist für die FAZ sowie u.a. den Spiegel und die taz. Außerdem ist er Autor mehrerer Bücher, u.a. „Die Deutschen und der Orient. Faszination, Verachtung und die Widersprüche der Aufklärung“. Moderiert wird der Abend von Prof. Bernhard Emunds. Weitere Informationen finden Sie auf unsere Homepage. Die Anmeldung ist unter rektorat@sankt-georgen.de möglich. Eine digitale Teilnahme ist ebenfalls möglich.

 


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