Antrittsvorlesung Prof. Dr. Andreas Bieringer

„Eine (un)heilige Allianz. Klassisches zur Liturgie bei Goethe und Handke“ lautete der Titel der Antrittsvorlesung von Prof. Andreas Bieringer, die am 17. Mai 2023 vor zahlreichen anwesenden sowie online zugeschalteten Gästen an der Hochschule Sankt Georgen stattfand. Der Hochschulrektor Prof. Dr. Thomas Meckel führte durch die akademische Feier und würdigte eingangs Prof. Bieringers wissenschaftliche Arbeit und sein Wirken für die Hochschule. Andreas Bieringer wurde am 15. Oktober 2022 zum Professor für Liturgiewissenschaft ernannt und übernahm zugleich den Lehrstuhl für „Liturgiewissenschaft, Hymnologie und christliche Kunst“ an der Hochschule Sankt Georgen, nachdem er zuvor an der Universität Salzburg mit der Arbeit „Liturgie – Leben – Literatur. Anregungen für Liturgiewissenschaft und rituelle Praxis“ habilitiert wurde. Davor war Prof. Bieringer bereits seit 2017 Dozent für Liturgiewissenschaft in Sankt Georgen. Mit seinem guten Blick für strukturelle Fragen und seiner humorvollen Art, bereichert Prof. Bieringer die Hochschule, so der Rektor in seiner Laudatio. Neben seinen Lehrtätigkeiten ist Prof. Bieringer seit 2018 als Studiengangsleiter des Magisterstudiengangs Katholische Theologie Studiums tätig. Der Rektor dankt Prof. Bieringer für die umfangreiche Arbeit als Studiengangsleiter.

In der Antrittsvorlesung selbst plädierte Prof. Bieringer für eine kultursensible Liturgiewissenschaft, die das Gespräch mit der Literatur sucht. Damit verknüpfte er die Forderung, das bislang übliche Quellenspektrum um künstlerische Außenperspektiven zu erweitern. Die Literatur eignet sich laut Prof. Bieringer als locus theologicus alienus besonders gut, da sie über einen reichen empirischen Erfahrungsschatz sprachsensibler Subjekte verfügt, der auf die liturgische Praxis zurückwirken kann. Da Frankfurt für eine liturgieaffine Liturgiewissenschaft mannigfache Anknüpfungspunkte bietet, stellte Prof. Bieringer mit Johann Wolfgang von Goethe und Peter Handke zwei Autoren in den Mittelpunkt, deren Leben und Schreiben mit der Stadt verknüpft ist. Während Goethe aus Frankfurt stammt, feierte Handke seine frühen Theatererfolge mit „Publikumsbeschimpfung“ und „Kaspar“ ebenso in Frankfurt. Die beiden Schriftsteller sind über den Ort Frankfurt hinaus miteinander verbunden, da beide über eine ganz eigene Geschichte mit Religion und Liturgie verfügen. In jungen Jahren pflegen sie engen Kontakt mit ihrer Herkunftskonfession, später verlassen sie diese jedoch, um das religiöse Erbe unabhängig von dogmatischer Gebundenheit auf künstlerische Art auszuüben. Um zu demonstrieren, wie die beiden Schriftsteller mit der Liturgie umgehen, stellte Prof. Bieringer verschiedene liturgische Szenen bei Goethe bzw. Handke vor und fragte, was ihr künstlerischer Blick inhaltlich wie methodisch für die Liturgiewissenschaft bedeuten könnte. Anhand von Goethes Beschreibung der sieben Sakramente in Dichtung und Wahrheit, seiner Schilderung des Sankt-Rochus-Festes zu Bingen und der Krönung Josephs II. wies Prof. Bieringer nach, wie eindringlich Goethe die lebenszugewandte Seite der Liturgie betont. Bei Handkes Messszene aus „Der Große Fall“ und weiteren liturgisch-poetischen Zeugnissen wird hingegen die formale und stilisierte Seite der Liturgie betont. Trotz der vorhandenen Unterschiede verbindet Goethe und Handke, dass sie vehement auf die Einlösung der Liturgie im Leben pochen. Beide suchen nach neuen Formen des Humanen, ohne die alten völlig aufzulösen. Wenn das Zusammenspiel von Liturgie und Leben nicht mehr gelingt, wird das Scheitern des Rituals ebenso deutlich markiert. Umgekehrt ist Goethe aber auch bewusst, dass die ausgelassene Volksfeststimmung auf dem Binger Rochusberg nicht ohne die vorausgegangene Heiligenverehrung zu haben ist. Auch oder gerade weil Handke den herben Charme des Rituals im Pariser Messbesuch so ausgiebig zelebriert, fällt die Lebenseinlösung umso deutlicher aus. Je stärker das formale Prinzip in der Liturgie betont wird, desto deutlicher muss im Umkehrschluss auch die Übertragung ins Leben ausfallen, resümierte Prof. Bieringer. Die Liturgie endet – wenigstens in der Literatur – nie an der Schwelle des Kirchenportals. Oder umgekehrt: Kann sich die Liturgie im Leben nicht bewahrheiten, stimmt etwas mit dem rituellen Vollzug nicht. Prof. Bieringer schloss seine Antrittsvorlesung mit einem Handke Notat: „Lehre nicht. Doch wenn du lehrst, dann so, als habest du es staunend eben erst selber erfahren.“ Von diesem Staunen konnte er am Abend seiner Antrittsvorlesung ein Stück weitergeben.   

Musikalisch begleitet wurde der gesamte Abend vom Liv Quartet: Júlia Solà Cabrera, Jieun Lee, Laia Haro Catalan und Naama Caspo Goldstein.  

 

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