Wissenschaftliches Netzwerk (DFG).
Schuld ErTragen. Die Kirche und ihre Schuld

 

Konzept

 

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Bei dem wissenschaftlichen Netzwerk „Schuld ErTragen. Die Kirche und ihre Schuld“ handelt es sich um ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft über einen Zeitraum von 36 Monaten gefördertes Projekt. Von 2015–2018 veranstaltet das Netzwerk sechs Workshops/Tagungen, die jeweils mit einem öffentlichen Abendvortrag eröffnet werden. Hierzu sind alle Interessierten herzlich eingeladen.

Das Netzwerk besteht aus insgesamt neun (Nachwuchs)wissenschaftler*innen aus Deutschland, Schweiz, Ungarn und USA. Leiterin des Netzwerkes ist Dr. Julia Enxing.

Worum es geht

Kann denn Kirche schuldig sein? Darüber herrscht in der Theologie keine Einigkeit. Dass Gläubige, die Glieder der Kirche, Sünder*innen sind und Schuld auf sich laden, ist unumstritten. Doch kann Kirche auch als Subjekt schuldig werden? Täterin sein? Die unzureichenden Wege des einfachen „Vergebens und Vergessens“ führen dazu, dass Komplexitäten ignoriert und Schuldgeschichten verschwiegen werden. Dem wollen die Forschenden geleitet vom Dreischritt der mittelalterlichen Bußtradition – contritio, confessio, satisfactio – die Entwicklung eines ökumenischen Konzeptes entgegensetzen, in dem Kirche in ihrer Rolle als Schuldträgerin verstanden und theologisch anerkannt wird sowie eine Neugestaltung kirchlichen Lebens nach einem schuldhaften Konflikt theologisch begründet in den Blick gerät.

Das Netzwerk legt die These zugrunde, dass die Kirche als kollektives Subjekt selbst schuldig werden kann. Es gilt, die Erkenntnisse der Debatten über kollektive und individuelle Schuld auf die Kirche zu beziehen und daraus Voraussetzungen für eine Auseinandersetzung mit eigener Schuldhaftigkeit abzuleiten.

Motivation

Forscher*innen verschiedener Disziplinen haben sich in den letzten Jahren intensiv mit Fragen politischer Versöhnung und interpersonaler Vergebung beschäftigt und sind zum Ergebnis gelangt, dass Erinnerung und Aufarbeitung der Vergangenheit integrale Bestandteile jeder Vergebung sein müssen. Konsens unter Theolog*innen verschiedener Kirchen und Nationen sowie Politikwissenschaftler*innen, Philosoph*innen, Psycholog*innen, und Rechtswissenschaftler*innen ist, dass der Vergebung nicht durch Vergessen und Verdrängen gedient ist. Auch öffentliche Schuldbekenntnisse erweisen sich – bei aller Unverzichtbarkeit nicht zuletzt als Zeichen der Würdigung der Opfer – in ihrer Ambivalenz kaum als Mittel der Überwindung von Schuld (Ent-Schuldung). Subjekte persönlicher wie gesellschaftlicher Versöhnung müssen mit unvollständiger Vergebung und bleibender Schuld leben lernen. Aber was bedeutet das für die Täter*innen und schuldig Gewordenen, die langfristig mit der Scham ihrer Schuld konfrontiert sind? Was heißt es für Betroffene, wenn Schuld nicht in einem Akt der Absolution entlastet und bereinigt werden kann? Wie entstehen eine „versöhnte Erinnerung“ und ein „gereinigtes Gedächtnis“, das die Erinnerung an die Untaten wach hält, ohne die Täter*innen zu stigmatisieren und aus der menschlichen Gemeinschaft auszugrenzen? Und: Welche Möglichkeiten hat die Kirche, mit ihrer Schuld umzugehen, wo doch ihr Handeln einerseits heilsvermittelnd ist, andererseits durch ihre eigenen Vergehen massiv an Bedeutung und Glaubwürdigkeit verloren hat? Denn die Kirche ist in dieser Frage nicht nur relevant als möglicher Raum der im Credo vorausgesetzten Versöhnung. Sie besteht gleichzeitig auch aus Subjekten der Sünde, Täter*innen bzw. in lebensverneinende Strukturen und Taten Verstrickte. Mit der theologischen Aufmerksamkeit auf die Erfahrung von bleibender Schuld gerät gegenwärtig auch die Frage nach der „Sünde der Kirche“ wieder ins Zentrum. Das zeigt sich jüngst im Prozess der Aufdeckung der sexuellen Gewalttaten durch den katholischen Klerus seit 2010. Die Sprachlosigkeit kirchlicher Vertreter sowie von Vertreter*innen akademischer Theologie macht die fehlende „Schuld- und Schamkompetenz“ – nicht nur der individuellen Täter*innen, sondern auch der Kirche als Kollektivsubjekt – deutlich. Ansätze zu einem zeitgemäßen Verständnis von Schuld und Sünde, einer sündigen Kirche, Umkehr, Vergebung und Wiedergutmachung liegen vor, ein Versuch, das relationale Geschehen von Reue – Bekenntnis – Wiedergutmachung systematisch zu reflektieren und zu deuten sowie auf aktuelle Kontexte kirchlicher Schuldverstrickungen anzuwenden, fehlt bislang. 

Ziele und Arbeitsprogramm

Im ersten und zweiten Arbeitstreffen soll nach den Schwierigkeiten einer „Umkehr“ und „Reue“ (contritio), sowohl von Kirche als auch von Menschen, gefragt werden. Das Netzwerk wird hier neuere Forschungen zum Phänomen der Scham aufnehmen. Welche Rolle spielt Scham in der Auseinandersetzung mit Schuld? Des Weiteren werden Einsichten in die Herausforderung kollektiver Verstrickung für das Thema „Schuld der Kirche“ neu bedacht. Das dritte und vierte Arbeitstreffen widmet sich dem Bekennen (confessio) und damit den Artikulationsformen der Schuld in Kirche und Gesellschaft: Wie kann eine Neuformulierung der Sündenlehre der Kirche dazu verhelfen, ihre eigene Schuldverwicklung zur Sprache zu bringen? Wie kann in gesellschaftlich-politischer Perspektive Schuld reflektiert bekannt werden? Das fünfte und sechste Forschungstreffen fragt nach Praktiken der Wiedergutmachung (satisfactio): Wie sind beispielsweise Sühne im Rahmen von Friedensdiensten oder Reparationen für das „Schuld(er)tragen“ und als „Wege aus der Schuldverstrickung“ neu zu denken und auf die „Schuld der Kirche“ zu beziehen? Welche Potenziale lassen sich erschließen, um Schuld im Gedächtnis zu behalten ohne Schuldiggewordene zu stigmatisieren, sondern sie dazu zu befähigen, Schuld mit Würde zu tragen?

Das Netzwerk hat seine Arbeit bereits im Sommer 2014 aufgenommen. Die durch die DFG-Förderung ermöglichten kontinuierlichen Treffen finden ab Winter 2015 halbjährlich bis zum Frühjahr 2018 statt. Siehe hierzu "Workshops".

 

Die Ergebnisse der Netzwerkarbeit werden in insgesamt drei Sammelbänden publiziert. Der erste davon ist bereits erschienen:

Enxing, Julia; Peetz, Katharina (Hgg.): Contritio. Annäherungen an Schuld, Scham und Reue. Beihefte zur Ökumenischen Rundschau 114. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 2017.

Für weitere Informationen siehe: www.sankt-georgen.de/forschung/dfg-forschungsnetzwerz-schuld-ertragen/publikationen