Am 14. Mai hat das erste Sankt Georgener Abendgespräch im Sommersemester 2025 stattgefunden, das vom Institut für theologische Begründung des Kirchenrechts, kirchliche Rechtsgeschichte und Religionsrecht (IKRR) der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen organisiert wurde. Auf dem Podium haben über das Thema „Entwicklungen der Rechtskultur in der katholischen Kirche“ die ständige Vertreterin des Generalstaatsanwalts bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main Christina Kreis mit Prof. Dr. Matthias Pulte vom Seminar für Kirchenrecht, kirchliche Rechtsgeschichte und Staatskirchenrecht der Johannes Gutenberg-Universität Mainz diskutiert. Das Thema wurde aus staatlicher und kirchen-/religionsrechtlicher Perspektive beleuchtet.
Prof. Dr. Thomas Meckel, Leiter des IKRR, moderierte den Abend und führte in das Thema ein. Er hat festgehalten, dass es zwar keine kirchenrechtliche Definition für den Begriff der Rechtskultur im Codex Iuris Canonici gibt, er aber ein Reflexionsbegriff der Kirchenrechtswissenschaft ist. Rechtskultur bezieht sich als Begriff insbesondere auf die Anwendung des geltenden Rechts in einer Rechtsgemeinschaft, sodass dem geltenden Recht auch in der gelebten Realität Geltung verschafft wird. Damit verbunden und für eine Förderung der Rechtskultur essentiell ist die Rechtssicherheit und ein effektiver Rechtsschutz.
Die Diskussionen waren geprägt von zwei Perspektiven: Einerseits der Analyse des Ist-Standes und andererseits die Darstellung von Entwicklungsmöglichkeiten des kirchlichen Rechts.
Zu Beginn haben beide Podiumsteilnehmer Themenfelder akzentuiert, die sie gerne einmal bei einem Espresso mit dem neuen Papst Leo XIV. besprechen würden. Matthias Pulte hat in diesem Kontext Defizite der Rechtskultur aufgezeigt und dies u.a. am Fehlen von Verwaltungsgerichtsbarkeit in der katholischen Kirche deutlich gemacht. Christina Kreis hat darauf hingewiesen, dass für die Implementierung von Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Kirche stets auch die Rechtskultur des jeweiligen Landes mitgedacht werden muss. In Deutschland ist beispielsweise ein anderes Rechtsbewusstsein vorzufinden als in anderen Teilen der Welt. Die katholische Kirche ist aber nicht von einer Gewaltentrennung, sondern von einer Gewaltenunterscheidung geprägt. Matthias Pulte und Christina Kreis war die Transparenz von Verfahrensweisen und Beschwerde- bzw. Klagewegen sowie die Einhaltung rechtstaatlicher Standards in der Kirche ein Anliegen.
Die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit besonders in der momentanen Situation, in der Pfarreien zusammengelegt werden und damit verbunden beispielsweise Kirchenvermögen überführt werden muss, kann die Rechtssicherheit verbessern. Matthias Pulte hat sich dafür ausgesprochen, dass die deutschen Bischöfe die Rechtskultur weiterentwickeln und an einer gemeinsamen Ordnung arbeiten, damit das Anliegen der Ernsthaftigkeit und Transparenz deutlich wird. Christina Kreis hat ergänzt, dass es bei Verwaltungs- und Strafgerichtsbarkeit einheitliche Lösungen auf Ebene der Deutschen Bischofskonferenz geben müsse, wohingegen andere Elemente auf diözesaner Ebene geregelt werden könnten. Als Beispiel dafür führte Kreis die neue Normsetzungsordnung der Diözese Limburg an, die eine Einbindung der diözesanen Gremien vorsieht. Auf der Ebene der Universalkirche wären, so Matthias Pulte, z.B. „Round Tables“ der Präfekten der Dikasterien der Römischen Kurie eine Möglichkeit des Austausches, der Transparenz und der Etablierung von Rechtskultur. Hingegen sahen Christina Kreis und Matthias Pulte die Einführung von diözesanen Schlichtungsstellen kritisch, sie könnten nur ein Etappenziel auf dem Weg zur Einführung einer Verwaltungsgerichtbarkeit darstellen.
Christina Kreis hat an diesem Abend u.a. von ihrer Mitarbeit in der Arbeitsgruppe Kirchenrecht der Deutschen Bischofskonferenz berichtet, in der sie der Unterarbeitsgruppe Disziplinarordnungen vorstand. Im Bereich der katholischen Kirche sind Disziplinarordnungen, die sich im Allgemeinen mit den Folgen eines dienstlichen Fehlverhaltens befassen, vielfach noch ein Desiderat. In den kodikarischen Normen des CIC/1983 gibt es diesbezüglich nur rudimentäre Regelungen für eine disziplinarische Sanktionierung von Klerikern, aber keine für Laien im kirchlichen Dienst. Matthias Pulte hat für eine Disziplinarordnung plädiert, die einerseits differenziert Tatbestände erhebt, und andererseits die Rechtsfolgen festlegt, die sich bei Zuwiderhandlung ergeben, die alle unterhalb der Schwelle der Strafbarkeit sind. In diesem geordneten Disziplinarsystem müssten auch Regelungen für bereits strafrechtlich belangte Personen enthalten sein, damit sie entsprechend reglementiert werden und eine Schutzfunktion seitens der kirchlichen Autorität wahrgenommen werden kann. Diese Disziplinarordnung sollte für alle Personen im kirchlichen Dienst, d.h. Kleriker wie auch Laien im Haupt- und Nebenamt, gelten.
Das Abendgespräch schloss mit einer angeregten Plenumsdiskussion, die die bereits angesprochenen Bereiche aufgriff. Thomas Meckel beschloss den Abend mit einem Dank an Christina Kreis und Matthias Pulte sowie einem Ausblick auf das nächste Sankt Georgener Abendgespräch am 4. Juni zum Thema „(Wie) können religiöse Konflikte produktiv sein?“ (Referentin: Prof. Dr. Katharina Heyden, Moderation: Prof. Dr. Tobias Specker SJ).