Hugo von Sankt Viktor - Institut
für Quellenkunde des Mittelalters

Wider das Vergessen - Für das Seelenheil
Memoria und Totengedenken im Mittelalter

Internationales Symposion des Hugo von St. Viktor Instituts, St. Georgen, Frankfurt am Main,
in Kooperation mit der Akademie des Bistums Mainz, Erbacher Hof

Mainz, 27.-29. März 2008

gefördert durch die

Fritz-Thyssen-Stiftung

Programm

Tagungskonzept

„Memoria“ als Erinnerungsfähigkeit oder auch als Wunsch, die Vergangenheit und die darin lebenden und handelnden Personen nicht dem Vergessen anheimfallen zu lassen, stellt eines der Grundbedürfnisse menschlichen Zusammenlebens dar und nahm deshalb im Laufe der Jahrhunderte vielfältige Formen an. Schließlich sah sich das Christentum von Anfang an als „Gedächtnis- oder Erinnerungsreligion“, die sich zum einen durch das Gedenken an den Tod und die Auferstehung Christi in der Feier der Eucharistie definierte, zum anderen das Schicksal der Menschen nach dem Tode daran maß, ob Gott ihrer gedachte oder sie vergaß.

Ziel der von uns geplanten Tagung ist es, durch fächerübergreifende Fragestellungen, die geschichtliche Wirklichkeit von Anamnese, Memoria und Gedenken im Mittelalter begrifflich zu umschreiben und abzugrenzen, um die Bedeutung des Totengedächtnisses als konstitutives Element im Prozeß der Identitätsbildung der lateinischen Kirche des Abendlandes, aber auch der jüdischen und muslimischen Glaubensgemeinschaft des europäischen Mittelalters herauszuarbeiten. „Memoria“ als „Organ kollektiver Erinnerung“ (Jan Assmann) und religiös-gesellschaftlicher Traditionswahrung, soll dabei quellennah sowohl mit theologiegeschichtlichen (Liturgie, Exegese, Sakramentenverständnis) als auch mit geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen untersucht werden.

In der in drei Teilen geplanten Tagung soll

1) die christliche Theologie und Kultur von „memoria“ artikuliert werden, wobei grundlegend theologische Fragen wie Erinnern und Vergessen in der Vulgata, Auslegung einschlägiger biblischer Texte, eucharistische Anamnese der Heilsgeschichte und deren liturgische Dimension im Vordergrund stehen. Dargestellt werden sollen jedoch auch die Folgen, die ein Verlust dieses Gedenkens aus theologischer, rechtlicher und kultureller Sicht nach sich zog.

2) das Totengedenken in seiner spezifisch mittelalterlichen Ausprägung aufgezeigt werden, sowohl seine Form und Verbreitung als auch die Medien, deren es sich bediente - im christlichen Bereich: Martyrologien und Kalendare mit Gedächtniseinträgen, Totenroteln zur Verbreitung von Todesnachrichten und eigens für das Totengedächtnis angelegte Nekrologen - im jüdischen Beeich: Memorbücher und im Islam das Stiftungswesen.

3) der Frage nach der identitätstiftenden Kraft von Memoria nachgegangen werden. Ausgehend vom Judentum, dessen Selbstverständnis auf dem erinnerten Gedenken beruhte, über die veränderte Bedeutung von Totengedächtnis im Christentum bis hin zu den Auswirkungen die dies für den weltlichen Bereich - vom Papsttum über die weltlichen Herrscher, die städtischen Schichten oder den Einzelnen  - nach sich zog.

Wie sehr „memoria“ auch ein interreligiöses Phänomen ist, wird durch die interdisziplinäre Behandlung des Themas, mit der Erschließung von Quellen aus dem christlichen wie auch aus dem jüdischen und muslimischen Glaubensbereich unterstrichen. Dabei sollen die spezifisch mittelalterlichen Aspekte der Memorialkultur betont und die durch die Glaubensgrundlage bedingten Unterschiede herausgestellt werden. Vor dem Hintergrund kulturanthropologischer Forschungsansätze, soll besonders anhand des Totengedenkens aus theologischer, liturgiewissenschaftlicher und historischer Sicht die geistige Haltung einer Gesellschaft widergespiegelt werden, die das christliche Abendland prägte und bis in eine nahe Vergangenheit unser Handeln entscheidend bestimmte.

Ansprechpartnerin

Dr. Ursula Vones-Liebenstein:


Stand: 27. Februar 2008