Baugeschichte Sankt Georgens von 1945 bis 2004

Von Werner Löser SJ

Wann eigentlich wurde in Sankt Georgen nicht gebaut? Vor dem II. Weltkrieg wurde gebaut - vor allem der Ostflügel (1) und eine Kapelle. Ebenso wie das Lindenhaus und die ehemalige Villa Grunelius wurden sie im Herbst 1943 und im Frühjahr 1944 zerbombt. Die Villa Grunelius wurde nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut, die übriggebliebenen Kellermauern kamen beim Abriß der Hochschulgebäude und der Kollegskirche (im Frühjahr 2003) noch einmal zum Vorschein. Aber ein Plan, sie zu festigen und zu bewahren - als Spuren zur Erinnerung an die Frühgeschichte Sankt Georgens - , erwies sich als nicht durchführbar, weil das alte Gemäuer schon zu weit verfallen war und nicht gerettet werden konnte.

Bald nach dem Krieg begann der Wiederaufbau des Ostflügels. Die südlich in den Park hineinreichende Kapelle allerdings wurde nicht wiedererrichtet. Als der Ostflügel wiederhergestellt war und dann die in den folgenden Jahren große Zahl der Seminaristen beherbergen konnte, bis daß in den frühen 90er Jahren eine gründliche Überholung und Erneuerung dieses großen Gebäudes notwendig und auch durchgeführt wurde, ging man an den Aufbau des Lindenhauses (2) und auch des Zwischenbaus, der den Ostflügel und das Lindenhaus verband. In den frühen 50er Jahren beherbergten also der Ostflügel und das Lindenhaus (1 und 2) die Jesuitenkommunität und die Seminaristengemeinschaft und auch die (bescheidenen) Hochschuleinrichtungen.

Als aber 1953 eine 1950 gefällte Entscheidung endlich wirksam wurde: daß die Ausbildung der deutschen (und bald auch vieler nichtdeutscher) Jesuitenscholastiker in Zukunft in Sankt Georgen stattfinden sollte, und also die Zahl der Jesuiten sprunghaft stieg, nahm auch der Raumbedarf sprunghaft zu. Die ersten Baumaßnahmen, die im Frühjahr 1953 in Angriff genommen wurden, hatten das Ziel, den Jesuiten dadurch Platz zu verschaffen, daß die Seminaristen das Lindenhaus und vor allem den Zwischenbau (2) für sie räumten. Und für die Seminaristen wurde ein neuer Bau begonnen: ein an den Ostflügel zur Offenbacher Landstraße hin angefügter zweistöckiger Bau (3), der im Erdgeschoß einen Vorlesungsraum und einige andere Zimmer und im darüberliegenden Geschoß eine neue Seminaristenkapelle, die am 15. November desselben Jahres durch den Limburger Bischof Wilhelm Kempf eingeweiht wurde, und die Regenswohnung umfaßte. Dieser Vorbau zum Ostflügel wurde in den frühen 90er Jahren wieder abgerissen. An seiner Stelle wurde die Seminarkirche gebaut, die dann Ende April 1993 eingeweiht werden konnte.

Nachdem nun zunächst für die Seminaristen, ihren Wohnbereich und ihre Hochschule gesorgt war, galt es auch für die Jesuiten und ihre theologische Fakultät Raum zu schaffen. Weil dies ein aufwendiges Unternehmen sein würde, wurde ein eigener "Bauminister", P. Jeggle, zur Koordination der Baumaßnahmen eingesetzt. Im Winter 1953/54 wurden die notwendigen, und wie sich herausstellen sollte, nicht einfachen Verhandlungen mit den Behörden geführt und die architektonischen Grundentscheidungen gefällt. In mehreren Abschnitten wurden sodann von 1954 an bis Ende der 50er Jahre die großen Bauten errichtet, die sich an das Lindenhaus nach Westen hin anschlossen (4 bis 11).

Im ersten Abschnitt wurde zum einen das Lindenhaus um einige Meter nach Westen hin verlängert (4) - ein unauffälliger Korridor, der noch in allen Stockwerken des Lindenhauses erkennbar ist, zeigt, bis wohin bis 1954 das Lindenhaus reichte -, zum anderen das Hochhaus (5) errichtet. Gleich nach Ostern 1954 begannen die Erdarbeiten. Und dann baute die Firma Holzmann das sechsstöckige Gebäude mit großem Tempo auf. Schon Anfang September konnte das Richtfest gefeiert werden. Die Einrichtung der Zimmer nahm dann noch einige Wochen in Anspruch. Aus den Sommermonaten 1954 wird ein berühmt gebliebenes Diktum von P. O. von Nell-Breuning überliefert. Angesichts des beträchtlichen Baulärms, der in sein Arbeitszimmer drang, sagte er: "Lebensnotwendige Geräusche stören mich nicht".

Der erste Bauabschnitt war noch nicht ganz abgeschlossen - vor allem der Aufbau des aufwendigen Heizungssystem im Keller und die Einrichtung der Küche im Erdgeschoß nahmen noch Zeit in Anspruch - , da begann auch schon der zweite: ein großer Speisesaal wurde in Angriff genommen (6). Im September 1954 begannen die Ausschachtarbeiten. Und wieder bewies die Firma Holzmann, was ein großes Unternehmen leisten kann: am 18. Oktober 1954 begannen die Aufbauarbeiten für den ganz unterkellerten Speisesaal, Ende des Jahres war der Rohbau fertig. In den folgenden Wochen und Monaten, also bis etwa Ostern 1955, wurde der Speisesaal so weit hergerichtet, daß er von der Jesuitenkommunität Tag für Tag benutzt werden konnte.

In dieser Zeit gediehen dann auch schon die Pläne und Vorbereitungen für den dritten Abschnitt. Eine Kirche für die Jesuitenkommunität sollte gebaut werden (9). Die neue Kirche sollte sich nicht sogleich an den Speisesaal anschließen, sondern zwischen beiden sollte ein Hörsaal eingerichtet werden (7), und der Kirche sollte ein Foyer vorgelagert werden (8). Nachdem die Finanzierung dieser Bauten in etwa gesichert war - was sich als sehr mühselig erwiesen hatte -, konnten die Bauarbeiten beginnen. Wieder wurde der Bau der Firma Holzmann anvertraut. Am 6. August 1956 rückten die Bautrupps an. Die Firma Fries errichtete ein Stahlgerippe aus 10 Bögen über den Fundamenten der ehemaligen Grunelius-Villa. Im Innenraum der künftigen Kirche wurden darüber hinaus 8 schlanke Rundträger aufgestellt. In der Mitte des Kirchenraumes wurde eine in Stufen sich verjüngende Altarinsel gebaut. Über ihr, in der Decke, wurde eine Lichtkuppel mit einem Durchmesser von etwa 5 Metern eingebaut. Genau unter dieser Kuppel wurde der Altar errichtet. An der Südseite der Kirche wurden Oratorien mit Zelebrationsräumen eingerichtet. Am 10. Dezember desselben Jahres wurde das Richtfest für die neue Kirche mit großer Begeisterung und Beteiligung gefeiert. Man hoffte, die Kirche an Ostern 1957 an nutzen zu können. Doch ließ sich dieser Termin, wie sich bald zeigen sollte, nicht ganz einhalten. Im Frühjahr und Frühsommer wurden die Arbeiten an der Heizung und an den Kirchenbänken von den Sankt Georgener Jesuitenbrüdern - vor allem von Br. F. Barbian und von Br. H. Meier, aber auch von anderen - fortgesetzt und abgeschlossen. Am Ignatiusfest 1957, als Ende Juli, konnten schon einmal die Oratorien freigegeben werden, aber noch nicht die große Kirche. Im September wurde der vornehm wirkende Steinboden aus dunklem Granit gelegt. Am 10. November 1957 war es endlich soweit: In der neuen, von allen als schön und würdig empfundenen Kirche wurde der erste Gottesdienst gefeiert. Das heißt aber nicht, die Kirche sei in allem schon fertiggestellt gewesen. Man hatte sie vielmehr in Wirklichkeit vorzeitig und unter Druck bezogen; denn der bisher als Kommunitätskapelle genutzte Raum, der mittlere Raum im Erdgeschoß des Lindenhauses (2), wurde als Lagerraum für Bücherbestände benötigt, die aus der kleinen, veralteten Bibliothek, die in etwa dort stand, wo sich heute der rotfarbene Aufgang auf das Dach über der Mensa (13) befindet, herausgetragen werden mußten, weil sich bereits der nächste Bauabschnitt ankündigte: der Neubau einer Bibliothek (12). In der Kirche fehlten einstweilen noch die Türen, die Empore, eine Orgel. Kreuz, Tabernakel, Leuchter, Bilder wurden aus der bisherigen Kapelle mitgenommen. Hier zeigten sich also deutlich die Möglichkeiten und Notwendigkeiten weiterer Gestaltung. Immerhin wurde Ende 1957 etwas Wichtiges getan: in die Lichtkuppel über dem Altar wurde ein großes farbiges Glasfenster eingesetzt, das von Georg Meistermann geschaffen worden war und das Motiv "Schöpfung und Trinität" zeigte. Dieses Fenster wurde fast ein halbes Jahrhundert später noch einmal zu einem der zentralen Gestaltungspunkte des neuen Hochschulbaus.

1958 herrschte erneut eine rege Bautätigkeit in Sankt Georgen. Im Juli wurde der Rohbau der neuen Bibliothek fertiggestellt - es handelt sich um das heutige Bibliotheksmagazin, das zwischen dem 1984 errichteten Bibliotheksbau und dem 1985/86 gebauten Küchenbereich (13) liegt. Dieser Bibliotheksbau wurde noch durch einen Zwischenbau mit dem Lindenhaus verbunden. In ihm wurden Büroräume, eine Buchbinderei und ein Lesesaal untergebracht. Die Außenmauern wurden im April verputzt. Im Laufe des Jahres 1959 wurde der Bibliotheksneubau allmählich abgeschlossen. Die Sankt Georgener Jesuitenbrüder erledigten einen großen Teil der Innenausbauarbeiten - die Schreinerarbeiten für die Holzregale, die Einrichtung der Elektroanlagen, die Schlosser- und Malerarbeiten. Und dann, das heißt von Ende 1959 an, fanden etwa 240.000 Bände in der neuen Bibliothek Platz. Die frühere Valkenburger Bibliothek konnte nach Frankfurt geholt werden und wurde der Bibliothek auch noch hinzugefügt, so daß ihr Bestand sich der Zahl 300.000 näherte.

In derselben Zeit, in der die Bibliothek aufgebaut wurde, entstand auch die Aula (10). Im Juni 1958 feierte man das Richtfest. Im April 1959 wurde die Aula außen verputzt. Im Innern gingen die Arbeiten ebenfalls zügig voran. Im Frühjahr konnten sie abgeschlossen werden. Die Thomasakademie konnte im Januar 1961 in der neuen, würdigen Aula durchgeführt werden. Man bewunderte allseits die Qualität der handwerklichen Arbeiten, die von den Sankt Georgener Jesuitenbrüdern erledigt worden waren.

Im Februar 1959 wurde unter Einsatz eines großen amerikanischen Bulldozers und der Hände und Schaufeln vieler Scholastiker und Seminaristen das Parkgelände zwischen der neuen Kirche und der Mauer an der Offenbacher Landstraße gründlich in Ordnung gebracht - der Bereich, in dem während der jüngsten Bauphase die Zufahrtsstraße für die Baustellenfahrzeuge eingerichtet war. Anschließend sanierte man auch die südlich an die Kirche angrenzenden Parkbereiche. Die letzten Reste der aus dem Krieg stammenden Trümmerflächen verschwanden unter dem Gras.

Zu Ostern 1961 erhielt die Kirche ein künstlerisch wertvolles Kreuz, das über dem Altar angebracht wurde. Frau Franziska Lenz-Gerharz, die bald danach für die Kirche auch noch einen kostbaren Kreuzweg schuf (1962), hatte es gearbeitet. Dieses kostbare Kreuz, das viele Jahre hindurch an Ketten von der Decke herabhing, ist nun in das Hörsaal- und Institutsgebäude übernommen worden und gehört zur Gestalt seines Foyers.

Ein wenig später, genauer gesagt zu Weihnachten 1961, wurde eine neue Orgel eingeweiht. Ihre Teile hatten bereits eine lange Geschichte. Einige Register und viele Pfeifen hatten schon zu früheren Orgeln gehört, wurden aber nun in die neue Sankt Georgener Orgel eingearbeitet.

Im Frühjahr 1963 wurde das Hochhaus (5) zum Park hin um ein Joch erweitert. So gewann man weiterem Wohnraum und Platz für eine Infirmerie.

Was es lange Jahre hindurch nicht gegeben hatte, trat nun ein: eine Pause in der sonst unentwegt laufenden Bautätigkeit. Sie währte bis Ende der 60er Jahre. Dann wurde an die Aula nach Westen hin ein neuer, zweistöckiger Bau angefügt. Er wurde im Frühjahr 1970 fertiggestellt (11). In dem oberen Stockwerk wurden zwei Hörsäle eingerichtet, im Erdgeschoß ein Konferenzraum und ein Raum für die Sankt Georgener Patreskommunität. Später wurde er zu einem weiteren Hörsaal umgewidmet.

Gegen Ende der 70er Jahre wurde deutlich, daß die in vielen Jahren errichteten, nicht immer organisch gewachsenen Gebäude den neuen Aufgaben nur noch begrenzt gewachsen waren. Die Schweizer Architekten Ernst und Gottfried Studer erhielten den Auftrag, einen Gesamtplan für eine bauliche Neuordnung Sankt Georgens zu erstellen. Nach langer Diskussion wurde dieser Plan zur Grundlage für die baulichen Aktivitäten der 80er und 90er Jahre. Ein aufwendiger Bibliotheksergänzungsbau (12) war das erste der neuen Bauprojekte. Es folgte der Neubau einer Küche und des Speisesaales der Jesuitenkommunität und der Mensa (13). Die Hochschulräume konnten nun sämtlich in den Gebäudeteilen, die sich an das Hochhaus nach Westen anschlossen, untergebracht werden. Eine neue Seminarkirche wurde Ende April 1993 eingeweiht, eine neue Kapelle für die Jesuitenkommunität im September desselben Jahres. Sie hat in den früheren Küchenräumen im Erdgeschoß des Hochhauses (5) ihren Ort.

Etwa 10 Jahre später, 2003-2004, wurde schließlich der noch ausstehende Teil des Gesamtplans von 1978 umgesetzt: Ein neuer Hochschulbau wurde errichtet. Die Architekten Kissler und Effgen aus Wiesbaden setzten mit dem nun fertiggestellten Gebäude neue architektonische Akzente und knüpften somit einerseits an dem Vorhergehenden an, wagten aber andererseits auch einen deutlichen Neuanfang. Damit der neue Hochschulbau errichtet werden konnte, mußten zunächst die aus den 50er und 60er Jahren stammenden Gebäudeteile (6 bis 11) entfernt werden.