Stephan Herzberg: Theoretische Lebensform und Natur des Menschen bei Aristoteles

In welchem Verhältnis steht der höchste kognitive Vollzug des Menschen, die Betrachtung (theôria), zu der „an Seligkeit herausragenden“ Tätigkeit Gottes, die von Aristoteles als betrachtend bestimmt wird? Eine einflussreiche Interpretationsrichtung behauptet, dass der Mensch für eine kurze Zeit genau diejenige Tätigkeit vollzieht, die Gott immer vollzieht. Gegen eine solche Identitätsthese zeigt der vorliegende Aufsatz, dass sich menschliche und göttliche Betrachtung nicht bloß in ihrem zeitlichen Ausmaß unterscheiden: Einzig Gott verwirklicht als Denken des Denkens in vollkommener Weise das, was es heißt, im Sinne der theôria tätig zu sein, während der Mensch diese Tätigkeit nur in einer unvollkommenen Weise verwirklicht. Bei ihm basiert diese Art des Denkens auf dem Erwerb eines bestimmten Wissens und ist somit auf Seiendes außerhalb seiner selbst angewiesen. An dieser spezifisch menschlichen theoretischen Lebensform wird deutlich, dass die Natur des Menschen nicht als eine radikale Spannung zwischen leib-seelischem (syntheton) und göttlichem Sein beschrieben werden sollte.



What is the relationship between the highest form of human cognitive activity, contemplation (theôria), and the activity of God, “which surpasses all others in blessedness” and which Aristotle characterizes as contemplative? An influential line of interpretation proposes that human beings exercise for a short time exactly the same activity which God enjoys forever. Against such an identity-thesis the paper shows that the difference between human and divine contemplation is not only temporal: Exclusively God as a thinking of thinking realises in a perfect way what it means to contemplate, whilst human beings realise it only in an imperfect way. In us this kind of thinking is based on the acquisition of a certain kind of knowledge and so depends on objects other than ourselves. This human kind of contemplation makes clear that the human nature should not be described as a radical tension between composite (syntheton) und divine being.


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