Johannes Arnold: „Für eine Dame unerhört“. Bernarda von Nell diskutiert mit Adolf Harnack

Anhand von unveröffentlichten Briefen an die Herausgeber Hans Delbrück (Berlin) und Karl Muth (München) wird im vorliegenden Beitrag nachgewiesen: Bernarda von Nell, die Mutter des Jesuitenpaters und Sozialethikers Oswald von Nell-Breuning, ist die Verfasserin des anonymen Artikels „Wie denkt Professor Harnack über die Enzyklika Pascendi?“ (Preußische Jahrbücher 134/3 [Dez. 1908] 385-396 = Hochland 6/5 [Feb. 1909] 521-530). Ihr Angriff auf Adolf Harnack ist Teil einer über Jahre andauernden, teils kritischen, teils bewundernden Auseinandersetzung mit dem protestantischen Gelehrten. Harnacks Antwort (PrJ 134/3, 396-398 = Hochl. 6/5, 530-532) an die – ihm namentlich bekannte – Angreiferin ist vor dem Hintergrund seiner Unterstützung für das „Bildungsstreben der Frauen“ zu sehen.

Anhang; aus: A. Harnack, Die päpstliche Enzyklika des Jahres 1907. Ein Schlußwort.*

[Man ist] der Enzyklika die Erklärung schuldig, die mir in den Kritiken kaum entgegengetreten ist, daß sie nach langer, langer Zeit von höchster katholischer Stelle die Glaubens- und Weltanschauungsfrage, nicht aber die Frage des Papsttums, in den Mittelpunkt stellt. Wir sind daran gewöhnt worden, von Rom aus vor allem diese Frage uns aufgerückt (sic!) zu sehen; in der Enzyklika aber tritt sie ganz hinter jene andere zurück. Ich stehe nicht an, darin einen Fortschritt zu erkennen. Fast möchte ich sagen, der Papst rüttelt die Gewissen seiner Gläubigen auf! Sollten wir uns darüber nicht freuen? Er zwingt sie freilich alsbald auf einen ganz bestimmten Weg und bringt seine Macht in den Disziplinarvorschriften, die er erläßt, in eine fürchterliche Erinnerung; aber er lenkt ihre Aufmerksamkeit doch auf Glaubensfragen, er lenkt sie auf den „Modernismus“, den er nicht ohne Aufbieten von Kenntnissen eingehend schildert! Er nimmt also die unausbleiblichen Folgen aller geistigen Unruhe in den Kauf, weil er die Sache, den wahren, rechten Glauben, für so wichtig hält. Wäre es ihm nur um die eigene Herrschaft zu tun, so wäre diese Enzyklika das ungeschickteste Schriftstück von der Welt – es ist ihm wirklich um den christlichen Glauben und die rechte Theologie zu tun, wie er sie versteht, also um das Seelenheil seiner Gläubigen! Das soll man nicht verkennen, und darin liegt bei aller Rückständigkeit in bezug auf das Wesen des Wahrheitssinns und der Wissenschaft doch ein erfreuliches Moment. Auch wird ja der Versuch gemacht, den „Modernismus“ zu widerlegen, und so kläglich dieser Versuch auch ausgefallen ist – einige unvermeidliche Schatten und Fehler der modernen Wissenschaft sind nicht ungeschickt benutzt, und auf die Abgründe, die sie umgeben, ist nicht ohne Recht hingewiesen.

Drawing its evidence from hitherto unpublished letters to the editors Hans Delbrück (Berlin) and Karl Muth (München), the present study proves the following fact: Bernarda von Nell, mother of the Jesuit priest and professor of social ethics Oswald von Nell-Breuning, is the author the anonymous article „Wie denkt Professor Harnack über die Enzyklika Pascendi?“ (Preußische Jahrbücher 134/3 [Dec. 1908] 385-396 = Hochland 6/5 [Febr. 1909] 521-530). This attack on Adolf Harnack is part of her continuous, sometimes critical, sometimes admiring discussion of the protestant scholar. Harnack’s reply (PrJ 134/3, 396-398 = Hochl. 6/5, 530-532) to his challenger – known to him by name – should be appreciated in connection with his public support of “women’s pursuit of education”.

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* IWW 2 (1908), Sp. 257-264, hier 262


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