Jörg Splett: In der Wahrheit leben. Eine Überforderung?

„Ein freier Wille und ein Wille unter sittlichen Gesetzen ist einerlei.“ Als Freiheitswesen erfährt der Mensch sich in der Erfahrung des unbedingten Anspruchs, „der Wahrheit die Ehre zu geben“. Von dort her versteht sich die Verurteilung der Lüge, von Augustinus bis Kant und Fichte. Heute spricht man jedoch von der Unvermeidlichkeit, ja der Kunst der Lüge und ihrem Lob, z. T. aufgrund mangelnder Unterscheidung von Falschaussage und Lüge (in Reaktion auf den Rigorismus Kants). Es geht darum, „in Liebe zu wahrheiten“. Das überfordert den Menschen; aber da er sich unendlich übersteigt, schwankt der Mensch stets zwischen Überforderung und Unterforderung. Menschlich leben kann er darum nur in Hoffnung, die freilich nicht selten „Hoffnung wider Hoffnung“ ist, nicht machbar, aber dankbar entgegenzunehmen.

"A liberal will and a will under moral laws is all the same." Man learns himself in the experience of the unconditional claim "to give the truth the honour". The condemnation of the lie gets on from there from Augustine to Kant and Fichte. Today however we read about the inevitability, even the art of the lie and her praise, partly (in reaction to the rigorism of Kant) due to lacking distinction of "falsi¬loquium" and "mendacium". We have to be "aletheuontes en agape". This overtaxes man; but since he exceeds himself infinitely, man always is swaying between overtaxing and sub-demand. He can live humanly therefore only in hope, and often only in "hope against hope".


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