Hans-Martin Rieger: Das radikal Böse. Der Zugang zur menschlichen Selbstverkehrung bei Kant und Luther

Unter der Beachtung der verschiedenen Kontexte und Begrifflichkeiten werden die Grundstrukturen von I. Kants Lehre des radikal Bösen und von M. Luthers Sündenlehre erläutert und in wechselseitiger Konfrontation deren Ertrag für gegenwärtige Fragestellungen erhoben. Der jeweils spezifische Zugang zu Strukturmomenten wie Radikalität, Totalität, Perversität und Universalität des Bösen lässt sich durch eine analoge Denkbewegung erhellen, welche von der Grundunterscheidung einer Vordergrunddimension äußerer empirischer Beurteilung und einer der menschlichen Selbstbeobachtung entzogenen, translegalen Tiefendimension ausgeht. In letzterer lokalisieren sowohl Kant als auch Luther die Wurzel des Bösen als willentliche Perversion von Relationen. Hier stellt sich das Böse nicht mehr als ein Teils-Teils von guten und bösen Handlungen dar, sondern als ein rigoroses Entweder-Oder von guter oder böser Wurzel. Dass Kant und Luther sich vor allem in der Zuordnung der beiden Dimensionen unterscheiden, offenbart grundlegende Differenzen in der Einschätzung des Menschen. Sie gilt es schließlich bei einer Profilierung von Mindestbedingungen theologischer Rede vom Bösen zu beachten.

 

This essay opens by exploring the fundamental principles of Immanuel Kant’s theory of radical evil and of Martin Luther’s doctrine of sin. Then, by drawing on elements of both theories and setting these in relief against one another, important aspects of a modern day theory of evil will be arrived at. Both Kant and Luther make a distinction between a surface realm on the one hand, where good and evil actions take place, and a deeper lying hidden realm on the other, where the root of evil are located. Each, however, draws different conclusions from this line of thinking. In the end, this reveals important differences in their views of human nature.


(Seite 65-96)

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