„Taktiken der Entnetzung. Über Medienverzicht, Stille und kommunikative Grenzen“ – Abschluss der Ringvorlesung am 1. Februar 2023

Die vierte Ringvorlesung, die am vergangenen Mittwoch, dem 1. Februar 2023 an der Hochschule Sankt Georgen stattfand, beschäftigte sich mit dem Thema „“ Zu Gast war Prof. Dr. Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft (Schwerpunkt Empirische Medienforschung), stellvertretender Geschäftsführer des Instituts für Medienwissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Soziale Medien sind in unsere Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Sie durchziehen die meisten Generationen: So ist die Generation der Anfang Zwanzigjährigen mit der Digitalisierung aufgewachsenen und „großgeworden“. Demgegenüber musste die Generation Ü50 sich an die neuen Medien wie Facebook, Instagram und Co. erst einmal herantasten. Mit diesem Kontrast eröffneten die beiden ModeratorInnen Prof. Dr. Tobias Specker SJ und Mirjam Schliephak (AStA Vorsitzende) den Abend.

„Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Mit diesem Zitat von Paul Watzlawick charakterisierte Guido Zurstiege eine der beiden Deutungen der in den Medien- und Kommunikationswissenschaften vernachlässigten Stille: Ist die Stille also Kommunikation mit anderen Mitteln, wie das Zitat von Watzlawick nahelegt? Tatsächlich könne man auch durch Blicke und Gesten, ja auch durch schlichtes Schweigen kommunizieren. Wie ein einfacher Blick in ein schweigendes Wartezimmer zeigt, ist diese Stille schwer auszuhalten – es wird zum Smartphone gegriffen oder sich auf andere Dinge in unserem Umfeld konzentriert, um dieser Stille auszuweichen. Andererseits kann Stille nach Zurstiege auch als eine Regenerations- bzw. Präparationszone verstanden werden. Menschen brauchen diese Grenzen und Unterbrechung der Kommunikation, um lebensfähig zu sein. Es ist empirisch belegt, dass Menschen diese Stille einfordern. In einem zweiten Teil des Vortrags beschäftige sich Guido Zurstiege mit dem Medienverzicht als einer Taktik der Selbstbehauptung. Entnetzung ist für ihn eine Form von Autonomie. Demgegenüber bestehe in unserer Gesellschaft ein geringes Interesse an dieser Form des Medienverzichts. Dabei zeige sich, dass auch Medienkonsum Suchtpotenzial aufweise. So geben circa 33% der 14- bis 24-jährigen an, dass ihr Medienkonsum problematisch sei. Nach einer kurzen Skizze der Gründe, warum sich die Medienwissenschaft bisher wenig mit der konstruktiv-positiven Seite des Phänomens der Nichtnutzung von Medien beschäftigte, unterschied Zurstiege drei Konzepte der digitalen Entnetzung. Der radikalste Schritt sei, die sozialen Medien zu löschen und sich dadurch komplett zu entnetzen. Dies ist ein Schritt, der von den Protagonisten und Protagonistinnen zumeist mit einer deutlichen Kritik an der Creative Commons Culture kombiniert wird. Eine zweite, vor allem medienpädagogisch orientierte Taktik der Entnetzung betont den lernenden Umgang mit sozialen Medien, wohingegen eine dritte Taktik bewusste Pausen der Nutzung inszeniert. Doch alle drei Taktiken – löschen, lernen, pausieren – bieten Grenzen und Probleme: Iranische Frauen zum Beispiel sind auf die sozialen Medien angewiesen, um sich gegenseitig zu unterstützen und zu vernetzen, für sie ist es nicht möglich, die sozialen Medien einfach zu löschen. Das „Lernen“, um verantwortungsvoll und kompetent mit den Medien umzugehen, verlagere die primäre Verpflichtung auf den Nutzer und die Nutzerin selbst. Dies stellt für jene eine hohe Bürde dar, zudem entlaste diese Taktik die Plattformen und Anbieter von ihrer Verantwortung. Und auch die Pause hat ihre Tücken, führen Sie doch nicht zu einem besseren Umgang, sondern sind in Anforderungen der Selbstoptimierung eingebunden, sodass nach der Pause erst richtig durchgestartet werde. Der Abend schloss mit einer Diskussion über konkrete Verhaltensweisen im Umgang mit sozialen Medien. Damit endete die Ringvorlesung in diesem Semester – die Hochschule freut sich, Sie auch im Sommersemester zu unseren „theologischen Abendgesprächen“ zu Themen des synodalen Weges begrüßen zu dürfen. Weitere Informationen dazu folgen auf der Homepage der Hochschule.


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