Ringvorlesung am 18.01.2023 – Zukunft der internationalen Zusammenarbeit – Konturen einer neuen Friedensordnung

Was bis zum 24.02.2022 beinahe unvorstellbar klang, ist nun Realität: Krieg in Europa. Mit der Frage, wie es in Europa soweit kommen konnte und was daraus für die Zukunft der internationalen Zusammenarbeit gelernt werden kann, beschäftigte sich am Mittwoch, dem 18.01.2023, die dritte Ringvorlesung an der PTH Sankt Georgen im Wintersemester 2022/23. Thema des Abends war „Die Ukrainekrise als Krise der internationalen Zusammenarbeit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts“. Zu Gast war Prof.in Dr. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung und geschäftsführende Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Goethe-Universität, Frankfurt am Main. Moderiert wurde der Abend von Prof. Bernhard Emunds. 

Zu Beginn stellte Deitelhoff die gegenwärtige Lage im Ukrainekrieg dar. Russland hat seine Kriegsziele nicht erreicht, unter anderem ist die ukrainische Regierung immer noch im Amt. Darüber hinaus begann die Ukraine im September die Gegenoffensive, es kam zu Gebietsgewinnen und russische Truppen wurden zurückgedrängt. In der Folge reagierte die russische Seite mit einer Teilmobilmachung, Annexionen, Raketenangriffen auf die ukrainische Infrastruktur und nuklearen Drohungen. Zum jetzigen Zeitpunkt befinden wir uns mitten in einem grausamen Stellungskrieg, Friedensgespräche sind nicht in Sicht. Doch wie gelangte man an diesen Punkt? Mit dieser Frage setzte sich Prof.in Deitelhoff im zweiten Teil der Vorlesung auseinander. Seit der Helsinki Schlussakte von 1975 und der Charta von Paris 1990 wird Europa als Raum geteilter Sicherheit begriffen, für den die wechselseitige Akzeptanz der Grenzen und der Schutz dieser konstitutiv ist. So entstand eine kooperative Sicherheitsordnung in Europa. In den letzten Jahrzehnten kam es aber auch zu einer Erweiterung von NATO und EU und zum Abstieg Russlands als Großmacht. Der russische Präsident Putin akzeptiert diese Entwicklungen nicht und versucht unter Missachtung der Prinzipien der europäischen Sicherheitsordnungen in verschiedenen Regionen (z. B. in Moldawien, Tschetschenien und Georgien) mit militärischen Mitteln eine russische Vormachtstellung zu sichern und Gebietsansprüche durchzusetzen – seit 2014 vor allem gegenüber der Ukraine. Diese Entwicklungen zeigen, dass glaubwürdige effektive Abschreckung notwendig bleibt. Zugleich gilt aber auch, dass es zu einer regelbasierten internationalen Ordnung wie der nun zerbrochenen kooperativen Sicherheitsordnung in Europa keine bessere Alternative gibt. Statt eines bipolaren Weltsystems, in dem westliche Demokratien den autoritären Regimen China und Russland gegenüberstehen, bedarf es eines multilateralen Systems der internationalen Zusammenarbeit, dem man sich nicht durch eine wirtschaftliche Deglobalisierung, eine möglichst weitgehende Entflechtung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen dem „Westen“ und China (sowie Russland) nähert. Zwar müssten asymmetrische Verflechtungen, die Abhängigkeiten schaffen, abgebaut werden; symmetrische Verflechtungen allerdings sollten beibehalten, gestärkt und ausgebaut werden. In der gegenwärtigen Lage sei es außerdem zentral, wirtschaftliche und politische Kooperationen mit den „in-betweens“ voranzutreiben. Als zentralen Punkt sieht Deitelhoff es zudem an, dass internationale Zusammenarbeit auf die Dauer nur möglich ist, wenn auch in den westlichen Staaten der Aufstieg populistischer Parteien gebremst wird. Internationale Zusammenarbeit setze insofern auch gesellschaftlichen Zusammenhalt hierzulande voraus.

Die vierte und damit letzte Ringvorlesung findet am Mittwoch, 01.02.2023, von 18:30 bis 20:00 Uhr statt. Thema des Abends ist „“  Zu Gast ist Prof. Dr. Guido Zurstiege, Professor für Medienwissenschaft (Schwerpunkt Empirische Medienforschung), stellvertretender Geschäftsführer des Instituts für Medienwissenschaften, Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Moderiert wird der Abend von Pater Tobias Specker SJ. Weitere Informationen finden Sie auf unserer Homepage. Die Anmeldung ist unter rektorat@sankt-georgen.de möglich. Eine digitale Teilnahme ist ebenfalls möglich.

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